Der Fenstergucker

Ein vertrautes Bild: Bernhard im Fensterrahmen

 

Wer kennt ihn nicht?! Es ist ein vertrautes Bild – auf dem Weg zum Kappelberg, zum Kapellchen oder in die Ruhl. Es sind zwar einige Fenster an dem alten Bollenständer-Haus verschlossen, aber an einem Fenster geht der Laden nie zu und mit etwas Glück schaut freundlich lächelnd ein Dörlinbacher Dorforiginal heraus. Die Rede ist von Bernhard Engel (geboren 1951), der letzte verbliebene Bewohner eines wahrlich geschichtsträchtigen Hauses.

Ein vertrautes Bild: Bernhard Engel blickt aus dem Fenster des historischen Bauwerks am Fuße des Kappelbergs.

Bernhard Engel verbringt vor allem in den frühen Nachmittagsstunden und abends am Fenster seines Wohn- und Schlafzimmers und unterhält Passanten oder Feriengäste mit alten Geschichten. Und für die Dorfbewohnerinnen und -bewohner hat er oft auch die aktuellsten Neuigkeiten aus dem Ort parat. Erstaunlich, da er sein geliebtes Elternhaus eigentlich kaum noch verlässt. Aber Bernhard Engel bekommt am Fenster viel zugetragen. Nachrichten und teils echte Neuigkeiten, die er wiederum jedem beziehungsweise jeder Person weitergibt, der mit ihm ins Gespräch kommt und das Neueste aus dem Dorf hören möchte.

Bernhard Engel hat tagtäglich alles im Blick von seinem Fenster aus.
Gelegentlich dürfen auch Gäste und Freunde den Ausblick ins Dorf zusammen mit Bernhard Engel genießen. So wie hier Klaus A. Burth, der Malerei und Grafik an der Staatlichen Akademie der Bildende Künste in Karlsruhe studierte. Der freischaffende Künstler lebt und arbeitet seit einiger Zeit in Dörlinbach.

Er liebt es mit den Leuten zu plaudern. Beispielsweise darüber, wie früher noch der Hofweg im Winter zur Rodelbahn wurde. Er selbst sei nie gestürzt, versichert er immer wieder seinen Zuhörern. Er sei nämlich stets in der Mitte gesessen, wo man in der Regel von Stürzen verschont geblieben ist. Fremden oder Feriengästen weist er den Weg, ebenso Wanderern, die sich auf den Bettelweg begeben. Nur unweit seines Hauses befindet sich ein Runen-Hinweis zum besagten Themenweg. Irgendwie scheinen die Leute im Ort sich an das vertraute Bild mit „Bernhard im Fensterrahmen“ gewöhnt zu haben. Denn sieht man ihn ein paar Tage nicht, fragen sie nach, ob es ihm gut geht beziehungsweise was mit ihm los ist. Hin und wieder kommt es auch mal vor, dass Fremde oder Zugezogene ihn fragen, ob sie einmal in das historische Haus kommen dürfen. Jene, denen Bernhard Engel Einlass in sein Reich gewährt, sollten allerdings nicht allzu groß sein. Denn „s‘ Moritze Hus“, wie sein Elternhaus im Ort genannt wird, wurde wahrlich nicht für große Menschen gebaut. Dies bekam auch der freischaffende Künstler Klaus A. Burth (geboren 1965), der mittlerweile in Dörlinbach lebt und arbeitet, zu spüren. Als großgewachsener Mensch war für ihn selbst im unteren Bereich meist eine gebückte Haltung angesagt. Burth, der sich auch mit Fotografie beschäftigt, hat neben dem historischen Gebäude natürlich auch schon längst Bernhard Engel als Fenstergucker-Motiv entdeckt.

Von Neininger über Striegel zu Engel

Errichtet wurde das Elternhaus von Bernhard Engel einst als kleinbäuerliches Handwerkerhaus von Johannes Neininger (1697 bis 1767) in Ständer-Bohlen-Bauweise im Jahre 1734. Die Neiningers übten über drei Generationen hinweg das Schneiderhandwerk aus. Die Berufssymbole des Schneiderhandwerks zeugen davon noch heute an der Ecksäule vom Dorf her kommend (siehe dazu auch unter Blog-Beitrag „Das Schneiderhandwerk“). Besagte Neiningers sind übrigens im Jahre 1841 nach Amerika ausgewandert und fanden im gleichen Jahr bei einem großen Schiffsunglück auf dem Eriesee zusammen mit weiteren Dörlinbacher Auswanderern den Tod. Dieser Tragödie haben wir einen gesonderten Blog-Beitrag mit dem Titel „Schicksale fern der Heimat“ gewidmet. Mit der Auswanderung der Neiningers wechselten auch die Besitzer. Durch Zimmermann Bernhard Striegel (1843 bis 1919) aus Schuttertal bekam das Haus zunächst den Übernamen „s‘ Striegels“. Bernhard Striegel hat mit seiner Ehefrau Luise, eine geborene Faißt (1835 bis 1901) eine Tochter, die den Namen ihrer Mutter erhielt. Luise Striegel (1876 bis 1950) heiratete im Januar 1902 den Landwirt Josef Schüssele (1865 bis 1918). Zusammen hatten sie sieben Kinder. Das jüngste Kind wurde Anna Maria (2017 bis 2007) getauft. Deren künftiger Ehemann Moritz Engel (1909 bis 1971) sorgte für weitere Übernamen für das Anwesen. Neben „s‘ Striegels“ kam nun auch „s‘ Engels“ und „s‘ Moritze“ dazu. Die beiden Eheleute hatten drei Kinder. Das Mittlere war Dorforiginal Bernhard Engel. Der Älteste Alois Josef (geboren 1950) lebt heute in einem Seniorenheim in Lahr, die Jüngste Maria Franziska (geboren 1955) hat mit Josef Bär (geboren 1952) im Jahre 1983 einen Landwirt aus Oberkirch geheiratet und ist weggezogen.

Bernhard genießt inzwischen sein Rentnerdasein im elterlichen Haus am Kappelberg alleine. Und wer ihn dort besuchen möchte, sollte wie bereits erwähnt nicht allzu groß sein. Möglichst nicht größer als 1,70 Meter Körpergröße. Ansonsten heißt es Kopf einziehen, vor allem wenn man sich im zweiten Stock bewegen möchte. Wer nämlich dort aufrecht gehen möchte, darf keinesfalls größer als 1,60 Meter sein. In der Regel ist die Zimmerhöhe im oberen Bereich auch kein Problem, zumal Bernhard Engel ohnehin nur den unteren Stock bewohnt. Und dort will er auch seinen Lebensabend so lange es geht verbringen. Ein Heimplatz wie bei seinem Bruder Alois komme für ihn nicht in Frage, betont er immer wieder mit Nachdruck. Und dies unterstreicht er gelegentlich auch mit der Bemerkung, dass er im Keller seines Geburts- und Elternhauses bestattet werden möchte. Begleitet allerdings mit einem verschmitzten Lächeln.

Moritze von der Moritzi

Apropos „s‘ Moritze“: Noch heute erinnern sich manche Dorfbewohnerinnen und -bewohner noch gerne an Bernhards Mutter, die unter verschiedenen Beinnamen im Ort bekannt war. Angefangen von „s‘ Striegels Anna“ bis hin zur „Moritzi“ in Anlehnung an ihren Mann Moritz. Oft hatte sie auch was Leckeres beziehungsweise Süßes für Kinder, die zu Besuch kamen. Und dazu gehörten auch „Moritze“, wie damals die „Oma-Bonbons“ des Süßwarenherstellers Moritz genannt wurden.

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