Der letzte Gang

Nach Ettenheimmünster und Schweighausen

 

Mit dem letzten Gang wollen wir nicht über den gleichnamigen Trauermarsch des Komponisten Michael Pobisch berichten. Auch nicht über zahlreiche Bücher und Filme, die diesen Titel tragen. Ebenso wenig über die Beerdigungen, wie sie noch Mitte des 20. Jahrhunderts in unserem Ort üblich waren. Denn über Letzteres haben wir bereits schon einmal einen kleinen Blog-Beitrag mit dem Titel „Beerdigungen in früheren Zeiten“ veröffentlicht.

Mai 2023: Blick von der Brandhalde hinunter zum Friedhof im Neudorf.

Es geht auch nicht um spezielle Trauerrituale in diesem Blog-Beitrag, sondern einzig und alleine um den letzten Weg bei der Bestattung der Toten bis hin zum eigenen Friedhof. Denn über viele Jahrhunderte hinweg war dieser Weg sehr sehr weit, bis hinüber zum einstigen Kloster in Ettenheimmünster. Und auch danach verkürzte sich der letzte Gang kaum. Für einige Jahrzehnte ging es hoch nach Schweighausen, deren Pfarrei die Dörlinbacher Gläubigen unterstellt waren. Einen eigenen Friedhof sollte Dörlinbach erst vor 120 Jahren bekommen.

Juni 2023: Die letzte Ruhestätte von Pfarrer Leo Schüssele (1885 bis 1947) befand sich einst auf der Friedhofsanlage unweit der Friedhofskreuzes. Der Grabstein wurde mittlereile umgesetzt und befindet sich heute bei der Einsegnungshalle direkt neben der Gedenkstätte der gefallen Soldaten.
Juni 2023: Den gefallen und vermissten Soldaten wird heute bei der Einsegnungshalle mit zwei Gedenksteinen gedacht.

Ins Auge gefasst hatte der Gemeinderat sowie auch die Gemeindeversammlung die Errichtung eines eigenen Friedhofs bereits schon im Jahre 1875. In einem Protokoll einer damals üblichen Ortsbereisung vom 21. Mai desselben Jahres ist nachzulesen, dass es in der Gemeinde noch keine Begräbnisstätte gab und als Filiale von Schweighausen die Leute den dortigen Friedhof nützen würden. Dies würde von den Dörlinbachern oft Unzuträglichkeiten abverlangen. Vor allem auch wegen der Entfernung, heißt es darin weiter. Auch würden dadurch die Kosten viel zu hoch sein. Weiter ist protokolliert, dass sowohl das Amt als auch die Gemeinde bereits ein entsprechendes Gelände für eine eigene Begräbnisstätte ausgesucht hätten. Dabei handelte es sich um ein Gemeindefeld oberhalb des Schmiedemeisters und Gemeinderats Philipp Rombach (1829 bis 1888) auf der rechten Seite an der Straße nach Lahr.

Erste Beisetzung: Maria Anna Fischer

Die Kommission, die die Ortsbereisung vornahm, hatte den auserkorenen Platz als geeignet empfunden und dies entsprechend im Protokoll vermerkt. Trotzdem sollte es noch knapp drei Jahrzehnte dauern, bis der Wunsch nach einem eigenen Friedhof in Erfüllung gehen konnte. Im Jahre 1903 konnte der Friedhof auf dem bereits 28 Jahre zuvor auserwählten Platz endlich angelegt werden. Seither befindet sich Dörlinbachs Friedhof im heutigen Neudorf. Das erste Gemeindemitglied, das nach dem Tod nicht mehr den weiten sogenannten letzten Gang nach Schweighausen antreten musste, war eine Frau. Im gleichen Jahr wurde am 26. Juni Maria Anna Fischer, geborene Schüssele (1859 bis 1903) als Allererste auf dem frisch angelegten Friedhof beigesetzt. Zwar waren dadurch die Wege kürzer geworden, aber der letzte Gang konnte für manche Verstorbenen und deren Angehörige trotzdem noch recht lang werden. Denn seinerzeit wurden die Verstorbenen noch zu Hause aufgebahrt. Am Tag der Beerdigung wurde dann der Sarg mit der oder dem Verstorbenen von deren oder dessen Wohnhaus abgeholt und in einem großen Trauerzug zum Friedhof begleitet. Für Leute, die also auf einem der teils weit verstreuten Bauernhöfe wohnten oder auch in der Hub, war der letzte Gang nach wie vor mit einem weiten Weg verbunden. Jedoch die ganz weiten Wege ins Nachbardorf nach Schweighausen waren jetzt passe.

Totenruhstein: Pause auf dem Tannenböschle

Erinnerungen an die Bestattungen in Schweighausen sind heutzutage kaum präsent. Dagegen sind Erinnerungen an den ganz weiten und vor allem wesentlich beschwerlicheren Weg über den Berg nach Ettenheimmünster schon. Zwar liegt das zeitlich viel weiter zurück, aber wer beispielsweise im Tannenböschle (auch bekannt als Dannebötschli) oder entlang des Alten Kirchwegs wandert wird jedes Mal durch ein steinernes Zeugnis darauf aufmerksam gemacht. Als Dörlinbach noch dem Kloster Ettenheimmünster gehörte beziehungsweise der Pfarrei Münstertal unterstellt war, mussten die Verstorbenen nach Ettenheimmünster transportiert werden, um dort ein christliches Begräbnis erhalten zu können. Dies ist unter anderem auch in der Pfarrchronik von Schweighausen durch den Klostergeistlichen Bernadus Stoeber festgehalten. Die Toten wurden aber nicht auf einem Wagen nach Ettenheimmünster transportiert, sie wurden buchstäblich über den Berg getragen. Der Aufstieg war für die Dörlinbacher Gläubigen verständlicherweise immer „sehr mühlselig“, wie Pfarrer Bernadus Stoeber niederschrieb. Auf der Anhöhe wurde daher jedes Mal ein Halt eingelegt, bevor es wieder abwärts ins Münstertal ging. An diesem Platz im Tannenböschle befindet sich der sogenannte Totenruhstein. Dessen einstiger Zweck lässt sich schon aus dem Namen ablesen. Auf dem Stein mit dem Bischofsstab wurden während der eingelegten Pause die Verstorbenen abgelegt. Laut Pfarrer Stoeber, der die Pfarrei Schweighausen von 1775 bis 1797 betreut hatte, wurde Dörlinbach um das Jahr 1656 von der Pfarrei Münstertal abgetrennt und mit der Pfarrei Schweighausen vereinigt. Von da an wurden die Dörlinbacher Toten bis eben in das Jahr 1903 nach Schweighausen gebracht, damit sie dort christlich bestattet werden konnten.

Begraben: Fern der Heimat – fern der alten Heimat

In den Jahren 1978 und 1979 ließ die noch junge Gesamtgemeinde Schuttertal von der Werkgruppe Lahr beim Friedhof in Dörlinbach eine Leichen- und Einsegnungshalle errichten. Seither ist besagter „letzter Gang“ für die Verstorbenen in Dörlinbach ein recht kurzer geworden – nämlich von der Einsegnungshalle bis zur letzten Ruhestätte nebenan in der Friedhofsanlage. Weit weg von der Heimat fanden viele junge Männer aus Dörlinbach in den beiden Weltkriegen den Tod. Nur einige wenige konnten zu Hause in Dörlinbach bestattet werden. Zu ihnen gehörte unter anderem Bernhard Müllerleile (1916 bis 1940) von s‘ Kasperseppe im Durenbach, der als erster Soldat aus Dörlinbach am 5. Juni 1940 gefallen ist und hier auf dem Dörlinbacher Friedhof bestattet werden konnte. Die Beisetzung in der Heimat war möglich geworden, da Bernhard Müllerleile nach seiner im Gefecht zugezogenen Verwundung ins Lazarett nach Fulda kam, wo er am 28. Mai 1940 verstorben ist. Egal wo sie ihre letzte Ruhestätte fanden, allen wird heute bei der Einsegnungshalle mit zwei Gedenksteinen gedacht. Bis 2009 befand sich übrigens die Gedenkstätte für die Gefallenen und Vermissten des Ersten Weltkrieges mitten im Dorf am dortigen Krieger-Ehrenmal. Dieses wurde jedoch in einer Nacht- und Nebelaktion entfernt, worüber wir bereits ausführlich im Blog-Beitrag „Krieger-Ehrenmal“ berichtet haben. Jenen, die im Zweiten Weltkrieg gefallen sind beziehungsweise seither vermisst werden, wird zusätzlich mit einer Gedenktafel in der Gedächtniskapelle auf dem Kappelberg gedacht. Neben der Kapelle befand sich auch ein symbolisches Soldatengrab in Erinnerung an jene Soldaten, deren letzter Gang in Utschno bei Staraja-Russa in Russland endete. Das symbolische Soldatengrab wurde im Jahre 2015 im Zuge eines Protestes wegen Gedenktafeln für ehemalige Wehrmachtsoffiziere, die im Innenraum des Kapellchens hingen, gleich mit entfernt (Weitere Infos hierzu in den Blog-Beiträgen „Gedächtniskapelle auf dem Kappelberg“, „General-Verdacht im Schuttertal“ und „5. Infanterie und Jäger-Division“). Schlussendlich gibt es noch jene aus Dörlinbach, die vor allem im 19. Jahrhundert nach Amerika auswanderten und sich überwiegend in Yankeetown im US-Bundesstaat Indiana niederließen. Heute wird der Ort am Ohio-River Red Brush genannt. Jene Dörlinbacherinnen und Dörlinbacher traten ihren letzten Gang fern der alten Heimat an und wurden auf dem Friedhof St. Rupert in Red Brush beigesetzt.

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Teilt den Beitrag

Teilt diesen Beitrag mit euren Freunden