Schicksale fern der Heimat

Dörlinbacher Auswanderer sterben auf dem Eriesee und dem Little Pigeon

Im 19. Jahrhundert wanderten zahlreiche Familien nach Amerika aus. Nicht allen Dörlinbacherinnen und Dörlinbacher war dabei das Glück hold. Zu denen, die ihr Glück auf der anderen Seite des großen Teichs suchen wollten, gehörte auch Franz Joseph Neininger (1812 bis 1841) und dessen Ehefrau Barbara, eine geborene Eble (1813 bis 1841).

Schiffsbrand auf dem Eriesee

Franz Joseph, ein Zimmermann, war das zweitjüngste von sieben Kindern, die einst mit ihren Eltern in einem kleinbäuerlichen Handwerkerhaus wohnten, in dem zuvor über mehrere Generationen das Schneiderhandwerk zu Hause war. Bei dem im Jahre 1734 in Ständer-Bohlen-Bauweise errichteten Haus handelt es sich nämlich ums „s’Moritze Hus“, einst erbaut von Josephs Ur-Ur-Opa Christian Neininger (siehe dazu auch Blog-Beitrag „Das Schneiderhandwerk“).

Schiffsbrand auf dem Eriesee
Schiffsbrand auf dem Eriesee

Franz-Joseph und Barbara Neininger hatten fünf Kinder. Landolin, der Erstgeborene, starb bereits drei Tage nach seiner Geburt. Es folgten Anton, Franz-Josef, Veronika und im April 1840 Benedikt. Ein Jahr später startete die Familie voller Hoffnung in eine neue ungewisse Zukunft. Die beschwerliche Schiffsfahrt über den Atlantik überstanden die Neiningers, nicht jedoch eine vergleichsweise nicht so gefährliche Schiffsfahrt auf dem Eriesee, einem Grenzsee zwischen den USA und Kanada. Am Abend des 10. August 1841 kam die ganze Familie in Folge eines Schiffbrands im US-amerikanischen Teil des Sees ums Leben. Sie ertranken zusammen mit weiteren Personen aus der alten Heimat Dörlinbach. Darunter auch Franz Josephs drei Jahre ältere Bruder Meinrad Neininger.

Unstimmigkeit: Liguri statt Erie

Bezüglich der Neiningers gibt es jedoch eine Ungereimtheit. Im Familienbuch-Teil des Heimatbuchs Dörlinbach (herausgegeben 1995) ist vermerkt, dass sie auf dem Eriesee ertrunken sind. Im gleichen Buch wird allerdings in der Auswanderer-Liste der Gemeinde eine andere Version zu deren tragischem Tod genannt. Dort heißt es: „Dieselben sind in Nordamerika angekommen, sind aber auf dem Liguri-See verbrannt.“ Mit Liguri verbinden wir aber nur eine Stadt beziehungsweise ein Gebiet in Norditalien, aber sicherlich kein See in Nordamerika. Zu den Toten auf besagtem Liguri-See gehört laut Auflistung auch Franz Josephs Bruder Meinrad. Im Familienbuch-Teil wird Meinrad Meininger, der 1809 geboren ist, zwar als Auswanderer erwähnt – mehr aber auch nicht. Auch ist kein Todesdatum angegeben. Ungeachtet dieser „Unstimmigkeiten“ (zumindest was den Liguri-See anbelangt, vermutlich ein Übermittlungsfehler) wollen wir hier noch die weiteren Dörlinbacher Schiffsopfer vom Eriesee erwähnen.

Zu ihnen gehörten auch Landolin Schüssele, ein Tagelöhner aus der Hub und seine Frau Theresia, eine geborene Singler sowie deren Kinder Katharina, Creszentia und Theresia. Die drei Mädchen hatte Theresia mit in die Ehe gebracht. Sicher ist, dass Landolin Schüssele nicht der leibliche Vater ist. Theresia und Landolin Schüssele heirateten erst zwei Wochen vor ihrer Abreise nach Nordamerika. 62 Tage nachdem sie Dörlinbach verlassen hatten, ereilte sie das gleiche Schicksal wie die Neiningers und auch Roman Vetter, der aus der Ehe von Anton Vetter (1784 bis 1844) und Maria Anna, geborene Herr (1789 bis 1863), hervorging. Roman war dessen einziger Sohn. Mit Maria Anna und Creszentia gab es noch zwei Schwestern. Maria Anna Vetter (1812 bis 1881) heiratete mit Josef Eble (1818 bis 1907) einen Schuhmachermeister vom Oberrain. Crezentia Vetter (1829 bis 1898) wanderte wie ihr tödlich verunglückter Bruder ebenfalls in die USA aus und heiratete 1854 im Bundesstaat Indiana den gebürtigen Schweighausener Anton Kaiser. (1829 bis 1876).

Wissenswertes zur Katastrophe

Zum Hintergrund der Schiffskatastrophe: Die Dörlinbacher Auswanderer-Familien befanden sich auf dem Seitenraddampfer „Erie“, der zur damaligen Zeit durchaus als stattliches Dampfschiff angesehen werden konnte. Dieses befand sich auf der Fahrt von Buffalo nach Erie in Pennsylvania. Das Verhängnis: Hochexplosive und stark brennbare Farben, Verdünner und Terpentin lagerten in der Nähe der Kessel. Durch Hitzeentwicklung gerieten sie in Brand. Im Nu wurde fast das gesamte Schiff zu einer einzigen Flammenhölle. Der Versuch die acht Meilen entfernte Küste zu erreichen misslang – das Schiff kam dort nie an.

Die Schiffskatastrophe erregte seinerzeit viel Aufmerksamkeit. Auch ein bekannter deutscher Schriftsteller und Journalist interessierte sich für die tragischen Ereignisse auf dem Eriesee im August 1841. Theodor Fontane schrieb dazu eine Ballade. Sie erzählt die Geschichte von John Maynard, einem Steuermann auf einem Passagierschiff auf dem Eriesee. Maynard schaffte es in Fontanes Ballade um den Preis seines eigenen Lebens alle Passagiere zu retten. Inspiriert zu dieser Ballade, die 1886 veröffentlicht wurde, hat Fontane der in Brand geratene Unglücksdampfer „Erie“. Während es in der Ballade ein gutes Ende für die Passagiere nimmt und der Raddampfer dank John Maynard das rettende Ufer erreicht, hat an jenem Unglückstag die „Erie“ das Ufer nicht erreicht. In verschiedenen Quellen ist nachzulesen, dass der diensthabende Steuermann Luther Fuller bis zuletzt auf seinem Posten ausgeharrt haben soll und schwer verletzt überlebte. In Fontanes Ballade heißt es zum Schluss: „Hier ruht John Maynard! In Qualm und Brand hielt er das Steuer fest in der Hand, er hat uns gerettet, er trägt die Kron, er starb für uns, unsre Liebe sein Lohn. John Maynard.“

Wie viele wurden Opfer der Tragödie?

Wie viele Menschen nun tatsächlich auf der „Erie“ befanden und wie viele von ihnen umgekommen sind, darüber gibt es unterschiedliche Angaben. Manche sprechen von etwa 200, andere von bis zu 300 und mehr. Fakt ist jedoch, dass leider nur 29 gerettet werden konnten. Bezüglich der Toten spricht eine Quelle von exakt 249. Unter anderem wurde damals auch in der Zeitung „Buffalo Commercial Advertiser“ berichtet. Dort heißt es es in der Ausgabe vom 12. August 1841: „Die Erie verließ das Dock um 16.10 Uhr, beladen mit Waren für Chicago und wie bis jetzt festgestellt werden kann mit ungefähr 200 Personen an Bord inklusive Passagiere und Personal.“ Gegen Ende des Berichts heißt es: „Natürlich ist es unmöglich eine vollständige Liste der an Bord anwesenden zu geben. Kapitän Titus denkt, dass zwischen 30 und 40 Kabinenpassagiere an Bord waren, von denen 10 oder 12 Frauen waren. Im Zwischendeck waren ungefähr 140 Passagiere, fast alle waren schweizerische oder deutsche Einwanderer. Es handelt sich hauptsächlich um Familien mit dem normalen Anteil an Männern, Frauen und Kindern. Bei diesem Gedanken blutet das Herz.“ Erwähnenswert ist noch eine weitere Zeitungsquelle. Etliche Jahre später schreibt die „News of the Week“, Toronto, in ihrer Ausgabe vom 9. September 1854: „Wenn unsere Erinnerung nicht trügt, sind ungefähr 310 Menschen (die genaue Zahl ließ sich nie feststellen) umgekommen, dabei hatten sie nur die Alternative, ein Grab in den Flammen zu finden oder im tiefen Wasser.“ 13 von ihnen, allesamt aus Dörlinbach, hatten wohl mit einem Sprung ins Wasser die Hoffnung sich irgendwie noch retten zu können. Sie ertranken jedoch alle.

Der See forderte schon einmal Opfer

Fast exakt ein Jahr vor der großen Katastrophe im August 1841 muss es schon einmal einen Schiffsbrand auf dem Eriesee gegeben haben, der einem Dörlinbacher Auswanderer zum Verhängnis wurde. Und zwar Roman Herr, der jüngste Sohn von Schuster Matthias Herr (1755 bis 1829) und dessen Ehefrau Anna, geborene Zehnle (1753 bis 1829). Am 3. August 1840 erlosch Romans Leben auf dem Eriesee – wenige Monate vor seinem 50. Geburtstag.

In der im Heimatbuch veröffentlichten Auswanderer-Auflistung gibt es bei der Familie von Franz Joseph und Barbara Neininger neben der falschen Angabe zum See noch eine weitere Ungereimtheit. Es wurde vermerkt, dass sie auf dem Eriesee mit ihren Kindern verbrannt seien. In der Auflistung des Familienbuch-Teils ist von Ertrinken die Rede. Wie sie letztlich zu Tode gekommen sind ist eigentlich nicht relevant, aber Letzteres wird wohl eher zutreffend sein. Denn die allermeisten Passagiere des Raddampfers „Erie“ sind damals im August 1841 nach Ausbruch des Brands von Bord gegangenen, beziehungsweise ins Wasser gesprungen, in der Hoffnung vielleicht noch das rettende Ufer zu erreichen.

Tod auf dem Little Pigeon

Die Familien Neininger und Schüssele sowie Roman Vetter und Roman Herr sind übrigens nicht die einzigen Auswanderer aus Dörlinbach, die in der neuen Welt durch Ertrinken zu Tode gekommen sind. Auch Matthias Wangler ereilte dieses Schicksal. Den Sohn von Hofbauer Anton Wangler (1798 bis 1848) und dessen Ehefrau Verena, geborene Biehler oder Bühler (1800 bis 1850), zog es wie die meisten aus Dörlinbach stammenden Auswanderer nach Yankeetown, dem heutigen Red Brush im US-amerikanischen Bundesstaat Indiana. Matthias hatte insgesamt elf Geschwister, von denen auch Schwester Theresia (geb. 1836) im Jahre 1853 nach Amerika auswanderte. Wann genau Matthias nach Nordamerika ging ist nicht bekannt. Es ist nur belegt, dass er nach 1850 in den Staaten mit seiner Familie auftauchte. Matthais Wangler hatte mit Ehefrau Barbara, geborene Rombach (1826 bis 1904) insgesamt acht Kinder. Die ersten fünf Kinder sind alle noch in Dörlinbach geboren, drei von ihnen auch wenige Tage und Monate nach der Geburt hier wieder verstorben. Ausgewandert sind sie letztlich mit den Töchtern Luise (1845 bis 1890) und Katharina (geb. 1850 / Todesjahr nicht bekannt), die beide in den USA geheiratet und eine Familie gegründet haben. Als mit im Jahre 1853 mit Caroline die nächste Tochter geboren wurde, waren die Wanglers bereits in Yankeetown. Ein Jahr später kam Charles Francis (1854 bis 1921) ein Sohn hinzu und um das Jahr 1857 Tochter Ellen (geb. um 1857 / Todesjahr nicht bekannt). Ebenso nicht genau bekannt ist, wann Matthias Wangler beim Holzflößen auf dem Little Pigeon River (auch Little Pigeon Creek genannt), einem Bach der unterhalb von Yankeetown in den Ohio River fließt, ertrunken ist. Es soll jedoch um das Jahr 1858 gewesen sein.

Anmerkung: Im Familienteil des Dörlinbach Heimatbuchs ist als Flussname „Little Pigeen“ angegeben. Vermutlich ein Übermittlungs- oder Schreibfehler: Richtig ist Little Pigeon.

Ertrunken (Verbrannt) auf dem Eriesee / USA:

Roman Herr (1790 bis 1840)

Meinrad Neininger (1809 bis 1841)

Franz Joseph Neiniger (1812 bis 1841)

Barbara Neininger, geborene Eble (1813 bis 1841)

Anton Neininger (1834 bis 1841)

Franz Josef Neininger (1836 bis 1841)

Veronika Neiniger (1838 bis 1841)

Benedikt Neiniger (1840 bis 1841)

Landolin Schüssele (1806 bis 1841)

Theresia Schüssele, geborene Singler (1804 bis 1841)

Katharina Schüssele (1830 bis 1841)

Creszentia Schüssele (1832 bis 1841)

Theresia Schüssele (1836 bis 1841)

Roman Vetter (1819 bis 1841)

Ertrunken auf dem Little Pigeon River / USA:

Matthias Wangler (1828 bis ca. 1858)

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